Die Rheinauen in Alsum und der verschwundene Stadtteil
In Alsum kann man heute am Strand Muscheln finden
Das im Duisburger Norden gelegene Alsum war schon in fränkischer Zeit besiedelt. In den sechziger Jahren fiel der Ort komplett dem Bagger zum Opfer. Heute bietet Alsum dem Spaziergänger Sandstrände, Muscheln, einen Blick auf den Niederrhein und die Kokerei Schwelgern.
Zwischen den Stadtteilen Marxloh und Beeck führt die Alsumer Straße durch eine menschleere Gegend, gesäumt nur von den Anlagen der Emschergenossenschaft und der TKS. Zwischen der Kokerei Schwelgern und einem begrünten Hügel führt eine Straße Richtung Rheinufer, der Alsumer Steig. Von dort sind es nur wenige Meter zum Deich von dem aus sich der Blick in eine weite Landschaft öffnet. Unten fließt der Rhein, davor Grün, Weiden, blühende Wiesen, Sand. Wie mag die Landschaft hier vor 200 Jahren ausgesehen haben? Als Alsum noch ein ein Dorf mit 12 Bauernhöfen und 8 Kotten, mit Gärten und Baumgärten war und die Emscher hier noch in den Rhein mündete? Alsum, das nicht mehr existiert, das unter dem Hügel liegt, der eine Schutt- und Abraumhalde ist, aufgetürmt aus den Resten seiner abgerissenen Häuser. Industrie gab es da noch keine, heute umrahmt sie den Hügel, der mal ein Dorf war. 1139 wird Alsum zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Fränkische Gräber, die man nur einen knappen Kilometer vom Ort des ältesten Alsumer Bauernhofs entfernt ausgegraben hat, legen aber nahe, dass es das Dorf schon weit länger gab. Es nutzte die guten Böden, die die Emscher im Mündungsgebiet anschwemmte.
Die Nähe zum Rhein machte die Alsumer auch zu Schiffern, schon vor Jahrhunderten pflegten sie Kontakte mit Holland und auch im 18. und 19 Jahrhundert war die Schiffahrt eine wichtige Einkommensquelle. Alsum bewahrte seine dörfliche Struktur bis in die 1890er Jahre. Nach und nach verkauften dann die Bauern ihr Land nicht immer freiwillig an Thyssen und auf den Grundstücken entstanden Werkswohnungen für die ständig wachsende Firma. 1929/30 kaufte die katholische Gemeinde ein Gelände des Marrenhofes und errichtete die St. Nikolauskirche für die inzwischen im ehemals protestantisch geprägten Ort zahlreich gewordenen Katholiken. Alsum war nun Ortsteil der Industriestadt Hamborn, geworden und nannte sich nach der Zusammenlegung von Hamborn und Duisburg “Duisburg-Alsum”. Der Stadtteil hatte seit 1907 eine Flussbadeanstalt und seit 1911 eine Schiffsanlegestelle. Seit 1913 verband die städtische Fähre Alsum mit Binsheim auf der anderen Rheinseite und die Matenastraße vom benachbarten Bruckhausen nach Alsum war nun ein unter der August-Thyssen-Hütte hindurchführender Tunnel, durch den die Straßenbahn die Menschen zur Erholung bis an der Rhein fuhr. Alsum war bei Ausflüglern beliebt und als Wohnort begehrt. Die Duisburger und Hamborner pilgerten zur Kirschblüte in das “Dorf am schönen Rhein”. Dann aber kamen das “dritte Reich” und der Krieg.
Wie viele Duisburger Stadtteile wurde Alsum stark zerstört. Das Stadtplanungsamt der Stadt Duisburg empfahl 1949/50 Alsum nicht mehr als Wohngebiet auszuweisen. Begründet wurde das mit der starken Bergsenkung durch den Kohleabbau, ein weiteres Absinken des Ortes müsste angenommen werden. Die Alsumer Bevölkerung war anderer Meinung und schloss sich 1952 zu einer Wiederaufbaugemeinschaft zusammen. Dem gab die Stadt zunächst nach, beschloss dann aber am 16. Dezember 1954 den Abriss des Stadtteils und die Umsiedlung seiner 1471 Bewohner. Ein “Park am Rhein” sollte an der Stelle des alten Dorfes entstehen und auch die Industrie sollte sich dorthin ausdehnen dürfen. Von der Reaktion, der Gefühlslage der Alsumer ist weder in der Literatur, noch in den populären Erzählungen zu erfahren. Das einzige wissenschaftliche Werk zum verschwundenen Stadtteil schrieb der Thyssen Archivar Franz Rommel in den sechziger Jahren. Er überliefert zumindest ein paar Details. 1964 wohnten noch immer 23 Familien im Ort. Bis zum Schluss haben viele gehofft, in Alsum bleiben zu können. Aber, erzählt Rommel, den Menschen sei es in dem in Schutt und Müll versinkenden Dorf nicht gerade leicht gemacht worden. Ein Bekannter, damals Augenzeuge, erzählt mir, dass Thyssen seine Gichtgasrohre durch ein noch bewohntes Haus habe legen lassen. Heute erzählen wir gerne die romantische Geschichte vom “versunkenen Dorf”. Was die erzwungene Aufgabe des Stadtteils aber für seine Bewohner bedeutet haben mag, können wir nur ahnen.
Wilhelm Hausmann, gebürtiger Hamborner und der letzte Pfarrer der Nikolauskirche hielt den letzten Gottesdienst im Angesicht der Bagger ab. Die Kirchenzeitung des Bistums Essen berichtete dazu: ”Eine Pfarrgemeinde von 540 Katholiken(...) ist erloschen. Die Industrie verlangte ihre Wohnungen und Häuser, sie verlangt jetzt auch den Platz der Kirche”. Hausmann hatte schon vorher begonnen, Erinnerungen an seine Gemeinde festzuhalten. Er fotografierte die Häuser, die gleich nach dem Auszug der Bewohner abgerissen wurden. Er ließ die alten Alsumer Geschichten erzählen und nahm sie auf Tonband auf. Und er sammelte auch Erinnerungsstücke. Ein ganz besonderes hat er aus der Kirche gerettet, die mitsamt der Nikolausfigur der Bildhauerin Emmy Bartscherer gesprengt wurde: Die Reliquie. Leider ist seine Sammlung nicht erhalten. Der Leiter des Duisburger Stadtarchivs bemühte sich sehr um die Fotografien des zum Dokumentaristen gewordenen Pfarrers, der aber lehnte brüsk ab. Nach Duisburg wollte er seine Fotos nicht geben.
Der Strand mit dem "Mäuseturm" vor der Halde
Heute ist Alsum zwar kein “Park am Rhein”(den es nie gegeben hat), aber die Rheinauen vor der Kulisse der Industrie bieten viel Natur. Vom Deich läuft man an Weiden vorbei zum Strand, wo der Sand an manchen Stellen so hoch liegt, dass man Burgen bauen kann. Als Vorbild kann der alte Turm der Wassergewinnung dienen, der in der Bevölkerung “Mäuseturm” genannt wird und tatsächlich sehr romantisch wirkt. Wer gerne Muscheln sammelt, kann das hier auch tun, die kleinen, aus Asien eingewanderten finden sich zahllos, wer Glück hat, findet auch eine der großen einheimischen Flussmuscheln. Die Halde “Alsumer Berg” bietet einen Blick über das riesige Gelände von ThyssenKruppSteel und auf die landwirtschaftlich geprägte linke Rheinseite. Auf dem Deich kann man über Beeckerwerth und Laar bis nach Ruhrort laufen oder Fahrrad fahren.
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